Montag, 11. Juni 2018

Grenzerfahrungen

Je kleiner die Fläche einer Figur, desto größer ist im Verhältnis der Umfang - das gilt in der Mathematik, aber ebenso in der Geografie. Ein kleines Land wie Israel hat eine für die Größe des Landes überproportional lange Grenze. Und ringsherum nur Staaten, die keine Demokratien sind und dem Nachbarn nicht immer freundlich gesinnt, wobei dieser es ihnen auch nicht gerade leicht macht.

Schon bei unserem ersten Aufenthalt hier haben wir gelernt, dass die Bewertung der Situation im Nahen Osten furchtbar schwierig ist. Hier im Land stellt sich vieles anders dar, als es von Europa aus gesehen den Anschein hat. 
 Das Militär, der Militärdienst und die Grenzsicherung haben für Israel existentielle Bedeutung, sind im täglichen Leben überaus präsent und genießen im ganzen Land hohes Ansehen.
Die Vorwarnzeit für die Raketen aus dem Gazastreifen beträgt in grenznahen Städten gerade einmal 30 Sekunden. Auch wenn der Raketenabwehrschirm gut funktioniert, ist doch das Lebensgefühl stark beeinflusst und der Luftschutzbunker stets in erreichbarer Nähe. Das haben wir auch in den letzten Tagen in manchen Gesprächen wieder vermittelt bekommen.
Haifa, unsere nächste Station, ist recht weit von allen Grenzen entfernt. Es ist der wichtigste Mittelmeerhafen Israels, über den Waren aller Art ins Land kommen wie auch seit Generationen Einwanderer aus allen Teilen der Welt. Aus drei Millionen Einwohnern Mitte der achtziger Jahre sind heute acht Millionen geworden. Seit Ende der 80er Jahre kamen über eine Millionen russische Juden ins Land, so dass sich in allen Landesteilen eine russische Infrastruktur gebildet hat und wir an vielen Orten Russisch hören. Haifa ist schon lange ein Schmelztiegel, in dem die unterschiedlichsten Volksgruppen leben. So sieht man neben dem modernen Büroturm das einem Kirchturm ähnelnde Minarett einer Moschee.
Die Stadt wuchs von der Küste ins Karmelgebirge hinauf, wobei die besseren Wohnviertel weit oben zu finden sind. 
Mittendrin liegen die Bahaigärten mit dem dazugehörigen Tempel, in dem der Religionsgründer der Bahai begraben liegt, einer die Einheit der Menschen betonenden aus dem Iran stammenden Religion.

Direkt darunter die deutsche Kolonie, ein Straßenzug, der von deutschen Auswanderern im 19. Jahrhundert angelegt wurde, deren Nachkommen nach dem 2. Weltkrieg allerdings das Land verlassen mussten, da sie mit den Nazis paktiert haben.

Die Fahrt nach Norden führt uns zuerst nach Akko, wo schon Alexander der Große seine Spuren hinterließ. Eine mächtige Stadtmauer schützte die Stadt, die im Laufe der Geschichte vielfach die Besitzer wechselte. Die Kreuzfahrer machten sie zu ihrem Zentrum, von dem aus das Heilige Land erobert werden sollte. 



Die Stadtmauer ist fast vollständig erhalten. Die Juden haben nach der Staatsgründung die Altstadt innerhalb der Mauer den Arabern gelassen und eine moderne Siedlung in der Nähe gegründet.

In den Gassen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Nur die Besucher geben einen Hinweis auf die Gegenwart.



Wo die Kirchen standen, erheben sich die Kuppeln der Moscheen.

Der weiß schimmernde Kreidefelsen Rosh Hanikra markiert die Grenze zum Libanon. Unzählige Armeen sind hier in den letzten 3000 Jahren von Nord nach Süd oder umgekehrt herübergezogen. 
In den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts trieben die Briten eine Eisenbahnlinie durch den Fels, um den Nachschub für ihr Mandatsgebiet in Palästina zu sichern. Juden kamen auf diesem Weg auf der Flucht vor dem Holocaust ins Land und sprengten die Linie Jahre später, um palästinensischen Befreiungsbewegungen den Nachschubweg abzuschneiden. 

Heute ist die Grenze unpassierbar und das entfernungsmäßig nahe Beirut scheint unendlich fern.

Erdbeben und die Wucht des Wassers haben Grotten in den Fels gegraben, die über eine steile Seilbahn zugänglich und zu besichtigen sind.



Nach Süden fällt der Blick auf den Banana Beach, den nördlichsten Strand Israels. Hier haben wir schon vor 35 Jahren gebadet, uns unrechtmäßig von Bananen aus der nahen Plantage ernährt und freuen uns, dass der Beach jetzt sogar den entsprechenden Namen trägt.

Auf der Rückfahrt überqueren wir noch eine friedliche ungesicherte Grenze. Achziv Land besteht seit über 60 Jahren. Sein Gründer, Eli Avivi, hat auf dem Gelände eines ehemaligen arabischen Dorfes eine freie Republik geschaffen, für die er dem jüdischen Staat anderthalb Hektar Land abtrotzte. Er regierte hier und schuf einen Ort, den Aussteiger und Lebenskünstler gern besuchten.

Wie es sich für einen richtigen Staat gehört, wurde der Pass bei der ganz und gar formlosen Einreise abgestempelt. Es ist der schönste Stempel in unserem alten Reisepass. Für die Übernachtung damals haben wir an Elis unendlicher Baustelle einen Nachmittag mitgearbeitet.



Das Hoheitsgebiet verfügt über einen eigenen Strandzugang, der zu einer wunderschönen kleinen Bucht führt.

Leider kommen wir zu spät, um dem Präsidenten der Republik unsere Aufwartung zu machen. Eli Avivi ist vor drei Wochen gestorben, erfahren wir von seiner Frau. Die Thronfolge ist ungeklärt.


Am Horizont geht die Sonne über dem Meer unter. Nicht einmal das patroullierende Grenzschutzschiff kann die friedliche Stimmung stören. 
Wann wird wohl Israel seine Grenzen nur noch mit einem Bretterzaun markieren müssen, wie Achziv Land?

(von Ronald)

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