Freitag, 25. Mai 2018

Ramadan, Kopten, hassle und Freundlichkeit: Impressionen aus Kairo

Kairo ist anstrengend. Wie schon im letzten Post angerissen, ist es laut, schmutzig und vermüllt, dazu der Smog und natürlich die Hitze. Wie immer versuchen wir wahrzunehmen und nicht zu schnell zu urteilen, sondern zu schauen und versuchen, zu verstehen.

Der islamische Ramadan, der traditionelle Fastenmonat, in dem ein Muslim von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nicht isst und trinkt, ist überall sichtbar durch die typischen Ramadanlaternen und Schmuck aus bunten Stoffen als Decken, Kissen oder Tischschmuck, in den Straßen oft lametta-artige Girlanden.
Viele Läden bleiben komplett geschlossen oder sind nur sehr eingeschränkt geöffnet. Leider gilt das vor allem im Verpflegungs- und Restaurationsbereich, da man ja tagsüber nichts zu sich nimmt. Für uns ist es entsprechend manchmal gar nicht so leicht, uns mit Proviant und Getränken zu versorgen.

Kommt dann der Sonnenuntergang in Sicht, werden überall in den Straßen Tische aufgebaut, an denen Scharen von Menschen beizeiten Platz nehmen und geduldig warten, bis sie essen dürfen. Die oft zu sehende Lethargie des Tages weicht einer Aufbruchsstimmung. Nach dem Ruf des Muezzins und den entsprechend gesungenen Koransuren fällt, manchmal als Böller, der Startschuss für das allabendliche Fastenbrechen. Innerhalb von 20 Minuten findet dann eine Großspeisung statt, nahrhaftes Essen z.B. mit Hülsenfrüchten und Reis. Dazu werden Unmengen von Wasser, Softdrinks und Tee getrunken. Oft werden Getränke auch einfach umsonst verteilt. Wir bekommen so manches Mal etwas angeboten und werden auch bei bescheidenen Tisch- bzw. Bodengesellschaften (es wird ja viel auf der Erde gesessen) freundlich herangewunken. Diese Geste des Teilens nach dem Fasten ist sehr offen und unmittelbar und berührt uns.

Weniger schön ist das "hassle", das aufdringliche Belästigen der Taxifahrer, Händler und anderer Dienstleister, die teils wie Fliegen an einem kleben und manchmal eine sehr deutliche Ansage brauchen, damit sie ablassen. Man muss aufpassen, dass man die echte Freundlichkeit, die uns auch vielfach jeden Tag auf der Straße begegnet, nicht unversehens harsch hinwegbürstet, weil man wieder "hassle" befürchtet. 


Ramadanlaternen und -schmuck




Kurz vor Sonnenuntergang wird die "Volksspeisung" vorbereitet.


Man nimmt an einfachen Tischen Platz, wartet auf den Sonnenuntergang und den erlösenden Ruf des Muezzins.


Dies ist er zwar nicht, aber als Fezträger doch ein typisches Standbild in Kairo.


Wir müssen gewaltig suchen, um an wenigen Orten und in Hinterzimmern mal ein Bier oder einen Whisky zu bekommen. Hier das "Windsor" in englischem Ambiente. Wir sind mal wieder die einzigen Gäste.


Kairo hat an einigen Ecken noch schöne Belle-Epoque-Häuser, die aber ziemlich in die Jahre kommen.


Eine graubraune Schicht aus Smog und Wüstenstaub legt sich erdrückend auf alles nieder.


Hochhäuser gibt es in der riesigen Stadt natürlich ohne Ende.


Dies sind noch die guten, wenn auch graubraunen Exemplare. Viele Immobilien haben nicht mal Fenster, werden aber bewohnt. Es ist steuerlich viel günstiger, im Rohbau zu leben, sagt man uns. Der Raummangel führt zu abenteuerlichen Situationen. So werden z.B. Familiengrüfte auf Friedhöfen oft auch als Wohnraum genutzt (was wir mit eigenen Augen gesehen haben. Wesentlich besser als eine Wellblechhütte.) 

In die Slums an der Peripherie kommen wir nicht, aber was wir in Alt-Kairo in den kleinen Hinterstraßen an Zuständen sehen, ist heftig genug: Müll und Unrat sondergleichen, darin abgemagerte Pferde und Esel, Hunde und Katzen, Fliegen ohne Ende und barfüßige, schmutzige Kinder und Alte. Trotzdem begegnet uns auch hier Freundlichkeit statt Argwohn oder Ablehnung, geschweige denn drohende Gefahr.

Muslimisch anmutend, aber christlich: 
Kirchenfassade im koptischen Viertel Kairos.

Das koptische Viertel, dem wir einen Besuch abstatten, ist Kairos ältestes Stadtviertel. Kopten sind ägyptisch-orthodoxe Christen, eine der ältesten christlichen  Gruppen, die bereits im 1. Jhdt. n.Chr. entstanden ist. Kopten sind "Urbewohner" Ägyptens und letztlich Nachfahren der pharaonischen Zeit, während die muslimische Bevölkerung aus späteren arabischen Einwanderungsströmen entspringt. Während und nach dem arabischen Frühling 2011 gab es nicht wenige Anschläge auf Kopten von Islamisten.
Aber während Terroristen oft Muslime sind, gilt umgekehrt eben nicht, dass Muslime Terroristen sind, wie man angesichts der politischen Situation manchmal vergisst. Die meisten sind einfach friedliche Menschen!  


Christliches Kreuz in muslimisch wirkender Ornamentik.


Die "Hängende Kirche" der Heiligen Maria, koptisches Viertel.
Wir steigen aus der (übrigens gut funktonierenden, sauberen und auch englisch beschilderten!) Metro und stolpern unmittelbar ins koptische Viertel hinein: 
Hinter Mauern verborgen begegnet uns ein Gemeindeleben mit unverschleierten Mädchen und Frauen, spielenden Kindern, fröhlich-liebevoller Atmosphäre, Plaudern und Lachen in den Kirchen, den Höfen, mit Fußball- und Volleyballplätzen, verwinkelten Gässchen, dem offen am Tisch Sprechstunde haltenden Popen.
Wir sind überrascht und verzaubert. Dazu gibt es viele sehr schöne Ikonen überall. Eine spricht mich sofort an und ich kaufe sie kurzerhand.


Volleyballspielende, unverschleierte Mädchen direkt im Kirchgarten.


Ägypten ist schon seit biblischer Zeit christlicher Lebensraum: Der Engel erscheint Joseph im Traum und weist ihn an, Maria und das neugeborene Kind zu nehmen und nach Ägypten zu fliehen.


Die Heilige Familie am Ufer des Nils, links hinten die Pyramiden. Auf den koptischen Ägyptenkarten sind die Stationen der hl. Familie verzeichnet.  


An einer Gemeindehofwand hängt ein ziemlich kitschiges Bild eines koptischen Priesters. Seine äußere Erscheinung ist vom Muslim, ja selbst vom Taliban gar nicht so weit entfernt, und ich sage mir wieder einmal, dass letztlich alles eins ist auf der Welt - und doch fällt es den Menschen immer wieder so schwer, sich gegenseitig mit Verständnis und Toleranz zu begegnen. Es wird noch viel Weg zu gehen sein.


Sonnenuntergang heute im koptischen Viertel in Kairo.

(von Jessica)

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