Montag, 4. September 2017

Er liebt mich, er liebt mich nicht - der Mont Ventoux

In der Provence nordöstlich von Avignon liegt der Mont Ventoux, ein 1900 Meter hoher Berg, der sich weithin sichtbar einsam in der Landschaft erhebt. Mehr als zehn Mal war er Bestandteil der Tour de France, manchmal war oben das Etappenziel. Dramen der Tourgeschichte, wie der Tod von Tom Simpson vor 50 Jahren, haben sich hier abgespielt.
Vor 18 Jahren war ich auf einer Klassenfahrt mit französischen Schülern einmal oben auf der kahlen Kuppe, von wo der Blick an klaren Tagen weit in die Landschaft reicht. Drei Wege führen hinauf, 20 bis 25 Kilometer lang, 1300 bis 1600 Höhenmeter sind zu überwinden, bei einer Steigung zwischen sechs und zwölf Prozent.
Dort mit dem Fahrrad hinauf - und auch wieder hinunter - zu fahren hat sich bei der Planung unseres Jahres als Gedanke geformt, der immer stärker wurde. Die Gelegenheit war günstig. Das Rennrad sollte hinten auf den Sprinter, wir konnten uns die Zeit einteilen, die Strecke führte uns in der Nähe vorbei.
Nicht gerechnet hatte ich mit der großen Kälte, die uns abends bei der Ankunft auf dem Campingplatz in Sault empfing. Gerade 13 Grad und dazu der Mistral, der die kalte Luft aus dem Norden das Rhonetal hinunterbläst.
Nach den heißen Tagen an der Loire fanden schon die Besuche bei den Freunden im Boubonnais bei kühlem und regnerischem Wetter statt, doch jetzt im Süden, so nahe am Mittelmeer, erwarteten wir andere Temperaturen.
Die Auskunft am Campingplatz stimmte dann doch ganz zuversichtlich; morgen sollte es wärmer und weniger windig sein. Das brachte die Entscheidung und zur Vorbereitung präparierte ich das Rad, justierte die Schaltung, prüfte Bremsen und Luftdruck und schmierte die Kette.
Da ich nicht einschätzen konnte, worauf ich mich einließ, wählte ich die zwar längste, aber am wenigsten steilste Strecke. Ich wollte nicht zu früh starten, um der Sonne die Chance zu geben, den Tag vorzuwärmen. Jessi wollte mit dem Sprinter etwas später hinauf fahren, so dass wir uns oben treffen konnten.
Nach einem kräftigen Frühstück am Morgen, Aufbruch kurz nach zehn in Sault. Mit kurzen Hosen, aber langen Ärmeln und einer Windjacke in der Tasche ging es von Sault etwas hinab ins Hochtal, wo der Aufstieg begann. Das ist in Ostholstein nicht und auch sonst kaum irgendwo zu proben: 25 Kilometer Steigung am Stück und auch bis in eine Höhe von fast 2000 Metern war ich bisher nicht geradelt.

Mit mäßiger Steigung ging es durch Lavendelfelder in südlichem Licht wenige hundert Höhenmeter hinauf, bevor die Straße in einen dichten Pinienwald hineinführte. Nach einer halben Stunde stetigen Bergauffahrens stellte sich ein Fahrgefühl ein, bei dem ich nicht mehr hinter jeder Kurve auf eine sich ankündigende Abfahrt wartete, sondern das Steigen zum Normalen wurde, dem sich Trittfrequenz, Atem und Puls anpassten.
Die Fahrer der Tour bewältigen den Berg in etwas mehr als einer Stunde (nachdem sie vorher schon fast eine Tagesetappe hinter sich gebracht haben), meine Vornahme war, nicht viel länger als die doppelte Zeit zu brauchen. Die Strecke schraubte sich am Hang hinauf, die Rechtskurven waren unangenehm, da dann ein kalter Wind vom Berg herab die Fahrt erschwerte, dagegen freute ich mich über jede Linkskurve, hinter der mich ein Rückenwind anschob. Trotzdem war es ein guter Tag, um hinaufzufahren, von denen es auch in der Saison nicht so viele gibt, wie man eigentlich denken würde.
Einige Radler und wenige Autos kamen mir schon entgegen, ansonsten war ich recht allein auf der Strecke und statt der anfeuernden Menge an den Straßenrändern standen mit Farbe auf die Straße gemalte Rufe da, "vite, vite", "allez","je t'aime" oder auch "vas y, Thomas". Wenn auch nicht auf mich bezogen, nahm ich  die Ermunterungen doch persönlich.
Am Straßenrand stand jeden Kilometer ein Stein, auf dem die verbleibenden Strecke und die durchschnittliche Steigung des kommenden Kilometers notiert war, ob Fluch oder Segen, konnte ich nicht genau sagen, da ich den nächsten Stein zwar herbeisehnte, aber gleichzeitig darüber erschreckte, wie lange sich ein Kilometer hinzog.
Nach zwanzig Kilometern auf einer Höhe von 1500 Metern hörte die Bewaldung auf und das schwierigste Stück des Aufstiegs begann. Es wurde steiler, der Wind von der kahlen Kuppe heftiger und die durch einen Turm schon weithin sichbare Bergspitze schien in unerreichbarer Höhe und Ferne zu liegen. Auf diesen letzten fünf Kilometern wurde die Beine immer schwerer, ebenso wie das Luftholen, um die Muskeln ausreichend zu versorgen. Ich versuchte, mir die zwei leichtesten Gänge möglichst weit hinauf aufzusparen, doch das hielt nicht lange vor.
Die einheitlich weiß wirkende Bergspitze besteht aus unendlichen Geröllfeldern von weißem Kalkstein, der in der Sonne zu glitzern scheint. Ich war schon eine Weile nicht mehr allein unterwegs, viele Radler waren auf dem Weg nach oben oder fuhren schon wieder herunter. Der letzte Kilometer war der steilste und auch der anstrengendste. Auf das nicht näher kommende Ziel zu blicken, war frustrierend, ich versuchte wie Beppo, der Straßenkehrer bei Momo, mich über jeden Tritt zu freuen, um nicht ans Aufgeben zu denken.
Keuchend kam ich nach zwei Stunden und fünfzehn Minuten oben an, begrüßt von Jessi, die mich zwischendurch an der Strecke auch schon aufgemuntert hatte. Das Triumphgefühl stellte sich erst nach einer Weile des Verschnaufens ein. Oben trafen sich viele erschöpfte, aber glückliche Radler, die, jeder in seinem Tempo, angekommen waren.
Die Abfahrt etwas später war traumhaft. Fast eine halbe Stunde in schneller Fahrt bergab, absolutes Vertrauen in das Material und die Freude darüber, es geschafft zu haben; ein Gefühl von Freiheit und Glück begleitete mich hinunter.

                                      






(von Ronald)

1 Kommentar:

  1. Whow.... Respekt, Ron.....well done...und: Tolle Bilder. Liebe Grüße

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