Schon vor unserer Reise haben wir den ersten Teil des "Havanna-Quartetts" von Leonardo Padura gelesen. Darin ermittelt Mario el Conde in den besseren Schichten Havannas. Er ist ein melancholischer Macho, der die Frauen und den Rum liebt, lieber Schriftsteller als Polizist geworden wäre, dank seiner künstlerischen Ader ungewöhnliche Wege beschreitet, um seine Fälle zu lösen.
Neben der lebendigen Beschreibung des Lebens der Menschen in der kubanischen Metropole treten die Fälle bisweilen in den Hintergrund. Das Klima, die Atmosphäre in der Stadt, die Lebensumstände der Menschen in einer längst nicht mehr revolutionären Gesellschaft sind auch heute, 25 Jahre nach Erscheinen der Bücher, noch so stimmig, dass es auch als atmosphärischer Reiseführer gelesen werden könnte.
Dabei schreibt Padura nicht als wütender Exilkubaner, sondern lebt im Land, liebt das Land, was man angesichts der detailreichen Beschreibung auf jeder Seite spürt, geht jedoch mit seinen Romane bis an die Grenze dessen, was ihm an Beschreibung der Zustände möglich ist, ohne den Bogen zu überspannen. In Kuba sind seine Bücher trotzdem kaum zu finden, was neben der in ihnen liegenden Kritik schlicht am Mangel von Papier liegt, der gedruckte Bücher so teuer macht, dass ein durchschnittlicher Kubaner sie sich nicht leisten kann, da der Preis von etwa 500 nationalen Pesos (gleich 20 konvertiblen Pesos, etwa 18 Euro) seinem Monatslohn entspricht.
In einer Buchhandlung in Camagüey horcht der Verkäufer auf, als wir nach Werken von Padura fragen und holt zwei Novellen neueren Datums aus einem Hinterzimmer. Den Preis will er uns nicht wirklich verraten. Das kann natürlich auch eine Form von Zensur sein, denn Bücher, die nicht erscheinen können, müssen nicht verboten werden (das erzählt uns ein staatlicher kubanischer Führer, mit dem wir ins Gespräch kommen nach einer Weile hinter vorgehaltener Hand; auch in diesem Augenblick seien Augenpaare auf ihn gerichtet, darum müsse er so vorsichtig sein, sagt er).
Die intensive Dichte der Beschreibungen habe ich erst beim Lesen des zweiten, dritten und vierten Teils hier in Kuba besonders wahrgenommen, wo ich manchmal den Eindruck hatte, dass ich mitten in der Handlung bin, so sehr decken sich die gelesenen mit den erlebten Ereignissen.
Wer Lesestoff sucht, Freude an exotischen Kulissen hat und Padura zur Hand nimmt, der wird so schnell nicht mehr von diesem melancholischen Ermittler loskommen, der selbst nicht weiß, wie er zur Polizei gekommen ist. Man kann etwas schwermütig werden, angesichts des Elends, dass El Conde immer wieder durchlebt, doch auch süchtig nach den weiteren Bänden, durch die man ihn bald so gut zu kennen glaubt, wie einen alten Bekannten mit seinen Schwächen und Stärken. El Conde lebt ganz offensichtlich, auch wenn sein Schöpfer sagt, seine literarische Figur sei kein Polizist, sondern ein Synonym.
Ein kurzer Auszug:
Mario Conde ... ging vor die Tür, um auf Sargento Palacios zu warten, und sich, wie jeden Sonntagmorgen, voller Nostalgie das Leben eines Viertels ins Gedächtnis zu rufen, das sich ebenfalls verwandelt, transformiert und für immer verändert hatte. Hier war er an vielen Sonntagen seines Lebens glücklich und unglücklich gewesen (zu gleichen Teilen), seit er denken konnte. Die Glocken der Pfarrkirche läuteten seit vielen Jahren für niemanden mehr, und von der nahe gelegenen Bäckerei war schon seit Ewigkeiten nicht mehr der intensive Geruch frisch gebackenen Brotes herübergeweht. Wie und woraus wird jetzt das Brot gemacht, dass ich gar nichts mehr rieche, fragte er sich? Doch er musste zugeben, dass es trotz allem ein ganz einfach wunderschöner Morgen war. Der heftige Regen vom Vortag hatte Himmel und Erde vomSchmutz gereinigt,und das strahlende Sonnenlicht erhellt auch den finstersten Gedanken.
(Leonardo Padura, das Labyrinth der Masken, Band drei (Sommer) des Havanna-Quartets, S. 174)
Und noch ein Zitat:
Immer wenn Mario Condo mit dem Bus fuhr, sah er zu, dass er einen Fensterplatz ergatterte. ... Dann sah er Dinge, die einem entgingen, wenn man sich nicht die Mühe machcte, an den ausgewaschenen Fassaden der Gebäude hochzublicken. Diese Angewohnheit hatte er von seinem Freund Andrés angenommen, der sie wiederum von der schönen Cristina hatte, jenem sinnlichen Geschöpf, in das sie alle verliebt gewesen waren. Nach und nach war es ihm dann fast ein körperliches Bedürfnis geworden, und wenn er an den Fassaden hochsah, spürte er, wie sich Körper und Geist voneinander trennten und sich ein Teil seines Ichs von seinem Sitz löste, um einige Meter über der dunklen, schmierigen Straße zu schweben und in vergessene Geheimnisse einzudringen, in uralte Geschichten und verlorene Träume, die sich hinter den Mauern verbargen und mit denen er Zwiesprache hielt, so als handle es sich um verlorene Seelen, die sich ebenfalls von der Bürde ihrer vergänglichen Materie befreit hatten. Auf diese Weise hatte El Conde die schönsten und kühnsten Balkone der Stadt entdeckt, mit ausgefallenen Motiven verzierte Giebel, mit Girlanden wie Hochzeitstorten geschmückte Simse, verschnörkelte Trenngitter zum Nachbarbalkon, angefertigt von in barocke Details verliebten Kunstschmieden. Und noch etwas hatte er entdeckt: All diese hundert Jahre alte Wunderwerke aus Eisen, Zement und Gips, die die schmutzigen, von Verwahrlosung, Staub und Gleichgültigkeit gezeichneten Straßen zierten, wurden von einem schleichenden Tod bedroht. In den traditionsreichen Gebäuden, die schon lange ihre Würde verloren hatten, hausten nun dicht beieinander die Menschen in Zimmern ohne fließendes Wasser, mit Gemeinschaftsklos auf den Fluren und erblicher Promiskuität.
(Leonardo Padura, 'Das Meer der Illusionen', Band vier (Herbst) des "Havanna-Quartetts", Seite 41)
(von Ronald)
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