Mittwoch, 13. Dezember 2017

Schwere Geburt

Wir sind auch deshalb an diesen Ort auf der Nicoya- Halbinsel gefahren, weil der Rough Guide gerade in Tamarindo neben allem anderen die Möglichkeiten zur Beobachtung der Meeresschildkröten in dieser Jahreszeit so genau beschrieben hat. Die Vorstellung, den 'Landgang' dieser großen, friedlichen Tiere, deren Temperament mir so sympathisch ist, mit zu verfolgen, weckte bei uns beiden eine gewisse Aufregung und Vorfreude.  

Die ersten Informationen, die wir bei unserem Erkundungsgang am Strand und im Ort einholen, sind ernüchternd. Wir werden angeschaut, als ob wir nach dem letzten Frost fragen. Tatsächlich hat sich in den vergangenen drei Jahren hier so viel verändert, viel Bautätigkeit in der Nähe des Strandes, dadurch mehr Licht und mehr Menschen, dass kaum noch Schildkröten zur Eiablage gesichtet werden und es das Beobachtungszentrum gar nicht mehr zu geben scheint.

Jeder ist freundlich, will helfen und schickt uns ein Stück weiter. Schließlich können wir eine Abendtour buchen, die uns an einen etwas weiter entfernten einsamen Strand bringen soll, wo die Beobachtung möglich sein soll. Eine Garantie gibt es selbstverständlich nicht, aber bei Mißerfolg das Versprechen, am Abend darauf noch einmal mitfahren zu können.

Wir werden pünktlich um 18.00 Uhr abgeholt, sind im Minibus die einzigen Mitfahrer. Unser Fahrer, der zugleich der Guide ist, weiß unendlich viel über die verschiedenen Arten der Meeresschildkröten und erzählt uns die ganze Fahrt über von allem, was mit ihnen zu tun hat. Die Straße, anfangs noch asphaltiert, wird immer schmaler, kurviger und rumpeliger. Als Steigerung kaum noch möglich ist, sind wir da. 


Es ist inzwischen stockfinster, Taschenlampen sind nicht erlaubt, um die Tiere nicht zu stören, das Meer ist kaum zu sehen, dafür aber scheint das Rauschen übernatürlich stark zu sein. Jetzt sehen wir auch andere Leute hier, die mit der gleichen Absicht aus anderen Orten hierher gekommen sind. Die Guides haben Rotlichtlampen, die in einer Frequenz leuchten, durch die die Schildkröten, die an Land nur schlecht sehen und hören können, nicht gestört werden. 
Wir ahnen mehr als wir sehen, dass wir uns in einer kleinen Bucht befinden. 

Bei der vorsichtigen Wanderung am Strand entlang, wobei die Guides immer vorweg gehen, stoßen wir auf eine Schildkröte, die auf dem Weg zurück ins Wasser ist. Wir begleiten sie in einigem Abstand, bis sie im dunklen, bewegten Meer verschwindet. Unsere Erwartungen vorher haben wir absichtlich nicht zu hoch angesetzt. Die Wahrscheinlichkeit, wirklich etwas zu sehen zu bekommen, schien uns nicht besonders groß zu sein. Die erste Begegnung mit einem der Tiere ist nun fast unwirklich. Es gibt sie und einige kommen tatsächlich hier an den Strand, wo wir auf sie warten. Jetzt wird es noch weiteres zu sehen geben!

Tatsächlich bemerken wir kurze Zeit später eine etwa 70 cm große Schildkröte, die an den Strand kommt. Wir begleiten sie auf der Suche nach einem geeigneten Eiablageplatz. Sie kriecht mühsam den Strand entlang, macht kleine Schlenker, bis sie fast an den Mangroven ist, die den Strand säumen. Wir bewegen uns nur vorsichtig, da sie Erschütterungen gut wahrnimmt und ihr Vorhaben abbricht, wenn sie sich nicht ganz sicher ist.

Doch sie findet einen geeigneten Platz, wo sie zu graben beginnt. Was für ein mühsames Unterfangen! Immer wieder macht sie kurze Pausen, dann schiebt sie kleine Mengen Sand mit ihren Vorderbeinen zur Seite, bis sie eine Kuhle hat, in der sie Platz findet. Ein Guide hilft vorsichtig nach, indem er das Loch hinter ihr unbemerkt etwas vergrößert. Nach kurzer Ruhephase beginnen die ersten tischtennisgroßen Eier in den Sand zu fallen. Es ist ein unglaublicher Moment: in das Glücksgefühl mischt sich ein Beschämen darüber, diesem intimen Akt beizuwohnen. Die Schildkröte ist in einer Art Trancezustand, in dem sie nichts, was um sie herum passiert, wahrnimmt. Wir sehen nicht, ob sie weint, ein bisher nicht geklärter Vorgang, der bei der Eiablage häufiger beobachtet wird. Bis zu 80 Eier kommen in ein Gelege, bis zu vier Mal im Jahr kommt jede Schildkröte zum Legen an immer denselben Strand, an dem sie auch geboren wurde. Mit welchen erstaunlichen Sinnen muss sie ausgestattet sein, um das anhand des Magnetfeldes der Erde zu leisten, umso mehr, da sie im Wasser auf der weiten Strecke zwischen Kalifornien und Peru pendelt. - Bevor sie wieder erwacht, ihr Nest zuschüttet, um sich dann zurück ins Meer zu bewegen, machen wir uns davon. 



Die Erfolgsquote ist äußert gering: Nur circa eins von tausend Eiern reift bis zur erwachsenen Schildkröte heran. Den Eiern und kleinen Schildkröten drohen so viele Gefahren, doch wie so oft, ist der Mensch die größte Gefahr. Die Nester können von Koyoten, Krebsen oder anderen Räubern geplündert werden. Auch Menschen rauben die Nester aus, um die Eier zu verkaufen oder um sie zu essen. Man experimentiert mit einigem Erfolg mit 'Fangquoten' und niedrigen Eierpreisen, um den Anreiz der Wilderei zu mindern und den Schutz erhöhen. Die geschlüpften Schildkröten sind eine leichte Beute für Raubvögel und auch im Wasser gibt es noch genügend Feinde. Die größte Dezimierung verursachen wir durch Einschränkung des Lebensraumes, enorme Mengen an 'Beifang' in Schleppnetzen, Jagd wegen Panzer und Fleisch und die Verschmutzung der Meere. Viele Schildkröten ersticken an Plastiktüten, die sie für Quallen halten. 

Es wird inzwischen viel für die Tiere getan, doch alle vorkommenden Arten sind bedroht und stehen auf der roten Liste. 


Einen kleinen Eindruck bekommen wir am nächsten Tag, als wir uns auf eigene Faust mit unserem Auto auf den Weg machen, den Strand bei Tageslicht noch einmal zu besuchen. Wir finden eine wunderschöne Bucht mit feinem breiten Sandstrand vor. Beim Gehen des Weges vom Abend vorher entdecken wir einige Schildkrötenspuren. Zwei der Nester scheinen ausgeräumt zu sein und wir hoffen, dass es Tierschützer waren, die die Eier an einen sicheren Ort gebracht haben, um die geschlüpften kleinen Schildkröten dann ins Meer zu begleiten, eine recht häufig angewendete Methode, wie uns unser Guide erzählt.

Was man sieht, ist keine Reifenspur, sondern die Abdrücke der Vorderflossen und des sich über den Sand schiebenden Bauchpanzers

Das Nest 'unserer' Schildkröte scheint unberührt, doch einige Eierschalen machen uns mißtrauisch. Ich grabe vorsichtig, stoße auf das Nest, in dem die meisten Eier aufgebrochen und geleert sind. Hier muss ein tierischer Räuber am Werk gewesen sein. Es ist ein beklemmendes Gefühl und wir trösten uns mit der Hoffnung, dass die Olive Ridley Schildkröte, um die es sich handelte, mit ihrem nächsten Nest mehr Glück hat.  

Wieder ein Erlebnis, das uns berührt und nachdenklich zurücklässt.

(von Ronald)

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