Dienstag, 14. November 2017

Verheerende Wirkung

In sieben Stunden 213 Kilometer mit dem Bus -  geht das?
Ja, das geht und hat uns gestern von der Überlegung befreit, wie die zweite Tageshälfte zu gestalten ist.
Die Bustickets haben wir am Tag vorher besorgt, so ist mehr Auswahl bei der Platzwahl. Rechtzeitig vor der Abfahrt sind wir am Busterminal der ADO, der größten mexikanischen Busgesellschaft, die Linienbusse unterschiedlichen Standards durch das Land schickt. Vor dem Terminal viel Geschäftigkeit; Schuhputzer, die geschickt auch älteres Leder, das Fett mit der Hand auftragend, wieder zum Glänzen bringen, Straßenverkäufer mit Süßem und Sauren, darunter viele Kinder, manche nicht älter als fünf Jahre, die uns immer wieder leid tun, und viele Reisende.


Per Hand und mit dem Tacker werden mit großer Ruhe die Kontrollscheine an allen Arten von Gepäckstücken befestigt. Der Bus kommt aus Tapachula am Pazifik im Süden des Landes und fährt über Chetumal an der Karibik bis Cancun weiter. Wir steigen nur für das kurze Teilstück von San Cristobal bis Palenque ein, doch auch das fordert schon Geduld und ein stoisches Sich-Einlassen, eine Kunst, die die Einheimischen mit hoher Perfektion beherrschen. Der vollbesetzte Bus, der mit Fernseher, WC und Liegesitzen über einigen Luxus verfügt, fährt mit etwas Verspätung ab.


Aus dem Tal führt die Straße bald in eine bergige Landschaft, die vom Urwald beherrscht wird. Die Strecke ist eigentlich durchgängig asphaltiert, doch die Zeit, der Verkehr und die vergangene Regenzeit haben ihre Spuren in Form von Löchern und fehlenden Stücken hinterlassen, so dass sich der Bus dort im Schritttempo einen Weg suchen muss.
Es geht auf und ab, ohne dass die Streckenführung zu steil hinauf oder hinabgeht, doch die Kurven sind so eng und zahlreich, dass der Bus kein Tempo aufnehmen kann, oft genug sogar abbremsen muss, um den Gegenverkehr vor einer Kurve vorbei zu lassen.



Das effektivste Hindernis ist aber künstlich und absichtsvoll geschaffen: Es sind die quer über die Straßen verlaufenden Brems- oder auch Tempohemmschwellen, die ihre Arbeit vorzüglich verrichten. Die Mexikaner müssen ausgesprochene Raser gewesen sein, dass ihnen das schnelle Fahren derartig brachial ausgetrieben werden musste - was auch funktioniert hat. Die Topes, wie sie hier genannt werden, gibt es in allen erdenklichen Formen, aus Asphalt, Beton, gepflastert, als Gummischwellen oder als Metallhalbkugeln. Allen gemein ist die verheerende Wirkung, die sie durch Höhe und Bauart entfalten, wenn schneller als Schritttempo darüber gefahren wird. Die einheimischen Verkehrsteilnehmer, egal ob Auto-, Bus-, LKW oder Motorradfahrer, haben berechtigterweise einen Riesenrespekt vor den Bauwerken.





Die mexikanischen Straßenbauer müssen ihre Freude daran haben, die Eintönigkeit der Straßen durch die Schwellen aufzulockern. In den Städten sind sie so häufig, dass ein Beschleunigen in den topesfreien Abschnitten oft nicht lohnt, auf den Überlandstrecken sind sie zahlreich überall dort zu finden, wo Dörfer, Siedlungen oder Gehöfte stehen, was häufig vorkommt.


Straßenzustand, Kurven und Topes sorgen für ein unaufhörliches Hin- und Herschaukeln des Busses, der eigentlich für ein anderes Vorwärtskommen gemacht zu scheint. So erreichen wir einen Schnitt von ganzen 30 km/h. Die Busfahrer, denen bei dieser Fahrt Unglaubliches abverlangt wird, wechselten bei einem kurzen Zwischenhalt. Den ersten Fahrer, von dem wir glaubten, dass er ausgestiegen sei, sahen wir an unserem Zielort wieder, wo er mehr oder weniger munter aus einer Klappe, die zu einem Tunnel neben den Gepäckfächern führte, kletterte. Mit Matratze und Belüftung ausgestattet, muss er dort liegend geruht haben. Wobei das Liegen dort fast so abenteuerlich sein muss wie der Toilettengang bei der Fahrt, der durchaus für Abwechslung sorgt.
Nach der Ankunft gegen 22.00 Uhr, eine Stunde später als geplant, werden wir für die strapaziöse Fahrt, die mir durch die Erkältung, die ich mir durch die häufig wechselnden Klimazonen eingefangen habe, nicht gerade erleichtert wurde, entlohnt. Unser komfortables Hotel liegt in einem ruhigen Stadtteil, der umgebende Urwald ist gebändigt, doch spürbar und durch die uns umgebenden Pflanzen auch sichtbar, das warme Abendessen ein willkommener Abschluss des Tages.



(von Ronald)

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